Film „The Room Next Door“ von Almodóvar: Die unerträgliche Leichtigkeit des Sterbens (2024)

Martha (Tilda Swinton) möchte selbstbestimmt sterben, mit Beistand einer Freundin. Pedro Almodóvar schafft es, das Sterben schön aussehen zu lassen.

„Der Tod ist kein Künstler“, soll der französische Schriftsteller Jules Renard einmal gesagt haben. Ginge es nach Pedro Almodóvar, wäre er es doch. Nach Vorstellung des spanischen Filmemachers wäre er wahrscheinlich einer vom Schlage eines Edward Hopper, hätte dieser seine ohnehin sehr aufgeräumten Kompositionen bis zur aseptischen Perfektion geschliffen und sie in noch saturierteren Farben gemalt.

Denn selten, so viel steht fest, sah das Sterben schöner aus als in Pedro Almodóvars erstem englischsprachigen Spielfilm. Nahezu niemals dürfte es so säuberlich und so schonend für alle daran Beteiligten vonstattengehen, wie in „The Room Next Door“. Sowohl das Lebensende selbst als auch den beschwerlichen Weg dorthin stilisiert das bei den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig mit dem „Goldenen Löwen“ prämierte Drama zum eleganten Phantasma.

Auf den ersten Blick passt das durchaus zur zentralen Prämisse der Erzählung, die aus dem Roman „Was fehlt dir?“ der US-amerikanischen Schriftstellerin Sigrid Nunez stammt, den Pedro Almodóvar mit seinem Film adaptiert: Hier wie dort steht der Versuch im Fokus, den demütigenden Seiten des Scheidens aus dem Leben, den Schmerzen einer unheilbaren Krankheit und dem langsamen Siechtum zu entkommen.

Personifiziert wird der feste Wille, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen und selbst über den genauen Zeitpunkt des eigenen Todes zu bestimmen, durch die von Tilda Swinton gespielte Martha. Sie ist schwer an Gebärmutterhalskrebs erkrankt und entscheidet sich, nachdem ihr Körper trotz Chemo- und einer neuartigen Immuntherapie weitere Metastasen gebildet hat, die Behandlung abzubrechen und ihrem Leben eigenhändig ein Ende zu setzen.

Dafür bittet sie ihre, wiederum von Julianne Moore verkörperte, Freundin Ingrid um Beistand. Sie soll sie in ein angemietetes Haus in einem idyllischen Waldstück in Neuengland begleiten, wo sie die letzten Wochen verbringen möchte, ehe sie eine todbringende Tablette aus dem Darknet einnimmt. Wann genau das sein wird, will sie spontan entscheiden. Wenn es passiert ist, werde Ingrid dies an der geschlossenen Tür ihres Zimmers erkennen.

Selbstwirksamkeit als Grausamkeit

Krebs, führt Martha gegenüber ihrer zunächst zögernden Freundin aus, werde zu einem Kampf stilisiert, den es zu gewinnen gilt. Nur indem die Menschen die Krankheit zu einem Heldennarrativ verklären, scheinen sie mit ihr umgehen zu können. Dies, so rechtfertigt sie schließlich ihre Entscheidung, sei ihre Art zu kämpfen. „Der Krebs kriegt mich nicht, wenn ich mich zuerst kriege“, sagt sie mit Nachdruck.

Was zunächst wie ein achtbarer erzählerischer Ansatz anmutet, um dem Tod wenigstens ein Stück weit seine Gnadenlosigkeit zu entreißen und dem Sterben ein tröstendes Moment der Selbstwirksamkeit zu verleihen, verkehrt sich zumindest in der filmischen Adaption in eine eigene Form der Grausamkeit. Denn Pedro Almodóvars gewohnt überästhetisierte Bildwelten wirken im Kontext des Sterbedramas blasiert und bilden einen schmerzhaften Kontrast zu einer sich meist doch ganz anders darstellenden Realität.

Vom lichtdurchfluteten New Yorker Luxuskrankenhaus bis zum exklusiven Bungalow, in dem Martha schließlich Sui­zid begehen wird: Niemals fängt die Kamera von Eduard Grau etwas anderes als makellos arrangierte Settings voller Almodóvar’scher Farbkontraste ein, niemals wagt sie sich hinter die Oberfläche aus todschicken Designermöbeln und der perfekt darin, darauf und dazu positionierten beiden Haupt­figuren.

Gegen den feministischen Geist der Buchvorlage

Dass sich auch die beiden Frauen selbst zu jedem Zeitpunkt in formvollendetem Styling durch die Einstellungen bewegen, trägt nicht nur weiter zur artifiziellen Atmosphäre in „The Room Next Door“ bei. Auch den feministischen Geist der Buchvorlage, die sich in kleinen Vignetten kritisch mit dem Druck weiblicher Schönheitsideale auseinandersetzt, führt Pedro Almodóvar damit ad absurdum.

Anders als Sigrid Nunez, die taktvoll Ingrids Beobachtungen der Ausfallerscheinungen ihrer Freundin mit einfließen lässt, ohne sie oder ihre Krankheit dabei unnötig zu dämonisieren, bezweckt die konsequente Verweigerung des Films, auch nur Schlaglichter auf Leid oder Verfall zu werfen, genau das. Ganz so, als seien Haarausfall, Gewichtsverlust und andere sichtbare Symptome ein Stigma, das abzubilden zu schrecklich wäre. Oder so, als würde alles, was über ein wenig eingefallene Wangen hinausgeht, schlicht die exquisite Szenerie stören.

Als weitaus irritierender als diese abgehoben wirkende Glamourisierung des Todes erweist sich allerdings das Gefühl der Belanglosigkeit, das der Film ausgerechnet gegenüber dem wahrscheinlich existenziellsten aller Themen erzeugt. Letztlich blass bleibende Figuren, deren Gespräche meist im Seichten verhaften, verhindern, dass die Adaption je eine wahre Brisanz entwickeln kann. Während noch in „Was fehlt dir?“ insbesondere von Ingrid ein nahbares Porträt entworfen wird, setzt „The Room Next Door“ auch hier starr auf das vermeintlich herrlich Exzentrische und das ach so schön Dekadente.

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Trailer „The Room Next Door“

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Eine sensationshungrige Kriegsreporterin

Durch konstruiert wirkende Expositionsdialoge und manie­ristische Rückblenden zeichnet Pedro Almodóvar eine überdrehte Hintergrundgeschichte für Martha, die sich in jungen Jahren trotz Schwangerschaft zunächst von ihrem vom Vietnamkrieg traumatisierten Partner löst, später selbst zur sensationshungrigen Kriegsreporterin wird und gern mal über die sexuellen Beziehungen zwischen männlichen Kollegen im Krisengebiet fantasiert. Dem Verhältnis zur fremd gewordenen Tochter (ebenfalls gespielt von Tilda Swinton) werden hingegen verwunderlich wenige Worte gewidmet.

Ohnehin drängt sich das Männliche immer wieder seltsam in den Vordergrund: Wo Martha bei Sigrid Nunez noch die Nase über Ingrids Expartner Damian (John Turturro) rümpfen darf, ersinnt „The Room Next Door“ eine unausgegorene gemeinsame sexuelle Vergangenheit der beiden Frauen mit ihm. Wo im Roman eine sogar kurze Intimität hervorbringende Vertraulichkeit zwischen den Frauen ungestört im Zentrum steht, wird Almodóvars Ingrid zum Todeszeitpunkt ihrer Freundin ausgerechnet deswegen nicht im titelgebenden „Raum nebenan“ sein, weil sie sich im Geheimen mit Damian trifft.

Selbstredend bemisst sich die Qualität eines Filmes nicht zuerst daran, wie treu er seiner Vorlage bleibt. Die Tatsache, dass „The Room Next Door“ das Potenzial des Materials ungenutzt lässt, ihm aber nichts Eigenes hinzuzufügen hat, das eine gewisse Dringlichkeit entwickelt, ist nichts anderes denn eine verpasste Chance. Umso mehr, als dass mit Pedro Almo­dóvar ausgerechnet ein Filmemacher, der sein Ideal einer Geschichte einmal als „eine Frau, die sich in einer Krise befindet“ beschrieb, in seiner Adaption das Augenmerk von weiblichen Perspektiven abwendet.

Rosarot leuchtende Flocken vom Himmel

Statt der bereichernden Ausführungen von Simone Weil, Ingeborg Bachmann und anderen Autorinnen und Philosophinnen, die noch den Roman durchziehen und ihm eine latente emanzipatorische Kraft verleihen, referiert „The Room Next Door“ wiederholt theatrale Motive aus James Joyce’ Novelle „Die Toten“.

„Langsam schwand seine Seele, als er den Schnee leise durch das Universum fallen hörte, leise herabfallen hörte wie das Nahen ihrer letzten Stunde, auf alle Lebendigen und Toten“, zitiert Martha mehrmals daraus. Einmal, als sie im Krankenhaus liegt und rosarot leuchtende Flocken vor dem Fenster fallen, später als sie an der Seite ihrer Freundin die Verfilmung der Novelle durch John Huston ansieht. Schließlich wird der besagte Schnee erneut vom Himmel wehen, nachdem sie gestorben ist.

Es ist eine gekünstelte Allegorie, aber sie passt zu einem Film, der das Sterben als ästhetisches Erlebnis inszeniert und wahres menschliches Empfinden, die Trauer und die Verzweiflung ebenso unberührt lässt wie die Hoffnung. In „The Room Next Door“ tritt der Tod tatsächlich als Künstler in Erscheinung, als penibel planender Perfektionist. Das echte Leben in seiner schlichten Unvollkommenheit drängt er in den Hintergrund.

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